Die entscheidende Phase der Umsetzung hat begonnnen! Bericht von der Neustart Mitgliederversammlung am 15.11.24

74 stimmberechtige nutzende Mitglieder (siehe Erläuterung 2 am Textende) waren in die Aula der Schule am Hechinger Eck zur Mitgliederversammlung (MV) der Neustart Genossenschaft gekommen. Dazu zwei investierende Mitglieder (siehe Erläuterung 3 am Textende) und zwei Gäste.

Ein Dankeschön an Vorstand und Aktive

Aufsichtsrätin Birgit Peter dankte zunächst den scheidenden Vorstandsmitgliedern Carola Kochner und Johanna Neuffer. Beide werden weiterhin in verschiedenen Teams und AGs aktiv dazu beitragen, dass aus der Utopie Neustart Realität wird. Als neues Vorstandsmitglied wurde Andreas Roth begrüßt. Birgit Peter dankte auch explizit allen anderen für Neustart ehrenamtlich Tätigen. Und sie stellte die neue Neustart Arbeitsstruktur vor.

Mit nun sechs neu eingerichteten Teams soll in der aktuellen, extrem aufwändigen und komplexen Projektphase die Arbeit effizienter, zielgenauer und koordinierter geleistet werden können. Die neuen Teams, das sind: Verwaltung/IT, Verhandlungen, Fremdkapital, Eigenkapitalkampagne, Werkstattverfahren und Belegung. Zu den Fragestellungen und Aufgaben der Teams Eigenkapitalkampagne (siehe Erläuterung 4 am Textende und Abschnitt „Ohne Moos nix los“), Werkstattverfahren (5) und Belegung (6) gab es im letzten Drittel der MV in kleineren Gruppen noch einen intensiven Gedankenaustausch unter den Genossinnen und Genossen.

Große Vision, geteiltes Risiko

Bevor die Vorständ:innen Ingrid Bauz und Andreas Roth zu einem intensiven Blick zurück und nach vorn einluden, musste wegen formaler Auflagen der BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) eine Satzungsanpassung verabschiedet werden. Hintergrund: Die sogenannte „Invest-Förderung“, die Möglichkeit Risikokapital einzuwerben. Satzungsmäßig geht es dabei um eine genau festgelegte Formulierung zur Unterscheidung von nutzenden und investierenden Mitgliedern, um deren Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Satzungsanpassung wurde ohne Gegenstimmen verabschiedet.

Um auf politischer Ebene klar zu machen, wie wichtig, ja unersetzlich Neustart und andere gemeinwohlorientierte Projekte im Land sind, wurde eine landesweite Initiative gegründet (Netzwerk gemeinwohlorientiertes Bauen und Wohnen Ba-Wü), so Ingrid Bauz. Ziel sei es, auf die laufenden Etat-Beratungen der Landesregierung einzuwirken, damit Fördertöpfe erhöht und die Förderbedingungen im Sinne des gemeinwohlorientierten Wohnens verbessert werden.

Ohne Moos nix los!

In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, so Ingrid Bauz und Andreas Roth, ob die junge Genossenschaft mit großen Visionen, aber ohne Eigenkapital, ohne laufende Projekte (ohne Mieteinnahmen), ohne Rücklagen und in mehr als unsicheren Zeiten, ihr Ziel erreichen kann. Ab jetzt müsse alles gleichzeitig laufen: Kapital-Beschaffung, Wohnungsvergabe und Bau-Planung. Der Eigenkapital-Anteil, den die Genossenschaft einbringen müsse (20-25% der Gesamtkosten), beträgt 15 Millionen Euro. Elf Millionen davon kommen aus Wohnanteilen der zukünftig rund 400 Bewohnenden von Neustart, für den Rest müssten sich Investierende finden.

Die Risiken für das Neustart-Projekt sind vielfältig: Noch unklar ist z. B., ob die Fördergelder rechtzeitig kommen und in ausreichender Höhe. Die von den Banken geforderten Kreditbedingungen könnten Möglichkeiten von Neustart übersteigen, die Baukosten zu hoch werden, die Eigenkapitaldecke zu dünn bleiben.
Um die Risiken und das bis dahin Erreichte (vor allem das bis dahin eingeworbene Eigenkapital) gegeneinander abwägen zu können und vor allem, um das Risiko für die Genoss:innen nicht zu groß werden zu lassen, werden im Juli und im Oktober 2025 Stresstests durchgeführt.

Stresstest 1 und 2

Im Juli 2025 wird es es darum gehen, ob die Entwurfsplanung (Kosten: etwa 750.000 Euro) finanziert werden kann. Zusammen mit anderen Kosten und notwendigem Puffer ergibt das eine Summe von rund 1,1 Millionen, die fällig wird. Um diesen Betrag aufbringen zu können, soll Neustart weiter wachsen, es sollen mindesten 150 neue Mitglieder dazu gewonnen werden. Von investierenden Mitgliedern und solchen, die in Neustart wohnen wollen, sollen rund 212.500 Euro kommen. Weitere 305.000 Euro, so die Planungen, müssten die jetzigen Neustart-Mitglieder einbringen. Das würde bedeuten: Fünf Genossenschaftsanteile zu je 500 Euro werden von gut Verdienenden gezeichnet, jeweils zwei von Menschen mit geringerem Budget. Weitere 600.000 Euro kämen aus Anzahlungen der Wohnanteile, die künftige Bewohnende zahlen müssten. Diese Wohnanteile gehen zunächst auf ein Treuhandkonto!

Auf einer Mitgliederversammlung wird dann geprüft: Reicht die Finanzdecke zum Weitermachen, oder muss das Projekt gestoppt werden? Nach einem „erfolgreichen“ Juli-Stresstest, gibt es im Oktober einen zweiten: Falls sich zeigt, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen (u. a. zu hohe Mieten, die verlangt werden müssten, um das Wohn-Projekt kostendeckend zu betreiben) würde die Mitgliederversammlung über eine Rückabwicklung des Projektes entscheiden.

Nachdem die drei Arbeitsgruppen (Eigenkapital, Belegung, Werkstattverfahren) sich rund eine Stunde intensiv ausgetauscht hatten, wurden nochmal die Abstimmungs-Karten gezückt. Der Geschäftsordnung für den Belegungsbeirat wurde bei einer Enthaltung zugestimmt. Nach rund vier Stunden ging eine denkwürdige Mitgliederversammlung zu Ende.

Fazit:
Lösungen suchen mit klaren Strukturen. Mit Idealismus, Solidarität und Optimismus die Ziele erreichen - trotz aller Schwierigkeiten, getreu dem schönen alten (Sponti-)Motto: Alles ist machbar, Herr Nachbar!


Erläuterungen:

(1) Die Landesregierung BaWü fördert das Neustart-Projekt als „Beispielgebendes Projekt für innovatives Wohnen“ mit 820.000 Euro.

(2) Nutzende Mitglieder (aktueller Stand: 231) sind Mitglieder, die, wenn die Gebäude stehen, Wohnungen und/oder Räume der sozialen Infrastruktur mieten bzw.  Dienstleitungen von Neustart in Anspruch nehmen möchten.

(3) Investierende Mitglieder (aktueller Stand: 25) sind Mitglieder, die in Neustart aus Solidarität mit dem Projekt investieren, aber keine Nutzungsrechte möchten (Wohnen, Räume, Dienstleistungen nutzen, etc.)

(4) Eigenkapitalkampagne (siehe Abschnitt „Ohne Moos nix los“)

(5) Werkstattverfahren: Im Rahmen der Bauplanung werden sechs Architekturbüros aus verschiedenen Städten, eines davon aus Tübingen, für ein Werkstattverfahren beauftragt. Das Auswahlverfahren wurde in Zusammenarbeit mit der Architektenkammer Ba-Wü entwickelt. Die Jury besteht aus Cord Soehlke, Baubürgermeister Tübingen, Andreas Hofer, IBA 27, Ruth Gollan, Wagnis eG München und Hans Drexler, DGJ Frankfurt. Als Stellvertretung wurden u.a. auch sechs Neustart Genoss:innen benannt. Das Werkstattverfahren findet in der ersten Jahreshälfte 2025 statt. Geplanter Bauanfang ist 2029.

(6) Belegung: Ziel der Belegung der Neustart-Wohnungen ist eine offene, faire, gerechte Wohnungsvergabe und die Bewohnendenschaft so vielfältig wie die Gesellschaft. Belegung in drei Phasen: Januar 25 bis März 25: 50 Wohnungen werden genossenschaftsintern ausgeschrieben. Juni 25 bis Dezember 25: 80-90 weitere Wohnungen werden öffentlich ausgeschrieben, danach schrittweise die restlichen 10-20 Wohnungen. Um die Belegung der Wohnungen im Sinne des Neustart-Konzeptes zu gewährleisten, wird ein Beirat Wohnungsvergabe gebildet: Drei Mitglieder aus der Stadtgesellschaft, zwei aus den Reihen der Genoss:innen.

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